Renate Lingor, Desirée Smisek und Sandra Smisek beim Actionday 2025 von GRLS WNTD SOCCER

„Die EURO 2029 kann ein Wendepunkt für den Mädchenfußball werden“

18. Dezember 2025

Deutschland richtet 2029 die Women’s EURO (WEURO) aus. Ein Ereignis, das weit über den sportlichen Rahmen hinausgeht. Für den Frauen- und Mädchenfußball bedeutet das: mehr Sichtbarkeit, mehr Chancen, mehr echte Vorbilder.

Wir haben mit unseren Botschafterinnen Renate Lingor und Sandra Smisek gesprochen. Beide sind ehemalige Nationalspielerinnen und heute beim Deutschen Fußball-Bund (DFB) tätig. Gemeinsam blicken sie auf ihre Karrierewege zurück, sprechen über Verantwortung, über vertane und genutzte Chancen und darüber, wie die EURO 2029 Mädchen in Deutschland nachhaltig inspirieren kann.

Renate, die EURO 2029 wird in Deutschland stattfinden. Was bedeutet dieses Heimturnier für den Frauen- und Mädchenfußball?

Für mich ist die Zusage für die EURO 2029 in Deutschland vor allem ein starkes Zeichen dafür, wie weit der Frauenfußball gekommen ist. Spannend ist: Als Kind hatte ich persönlich nie das Gefühl, dass ich mich dafür rechtfertigen müsste, dass ich Fußball spiele – das war für mich ganz selbstverständlich. Erst viel später, als ich im Leistungsbereich angekommen war, merkte ich, wie oft man sich plötzlich erklären sollte: Warum spielen Frauen Fußball? Wie vergleichen wir uns mit den Männern? Diese Fragen begleiten uns bis heute.

Gerade deshalb ist ein Heimturnier so bedeutsam. Das Interesse am Frauen- und Mädchenfußball wächst nachhaltig und das Potential ist noch lange nicht ausgeschöpft. Es gibt mehr weibliche Mitglieder, mehr gemeldete Mädchenmannschaften und sogar mehr Schiedsrichterinnen. Zudem sind die Strukturen in der Spitze sehr viel professioneller geworden. Das ist großartig und bestätigt, dass wir auf dem richtigen Weg sind.

Aber: Wachstum allein reicht nicht. Damit Mädchen langfristig im Fußball bleiben, brauchen wir passende Angebote, qualifizierte Förderung und verlässliche Strukturen – vom Breitensport bis nach oben. Ein Heimturnier wie die EURO 2029 kann ein echter Wendepunkt für den Mädchenfußball werden. Entscheidend wird sein, wie wir diesen Impuls im Alltag verankern und für die nächste Generation nutzbar machen.

Sandra, du hast über 130 Länderspiele gemacht und bist mehrfache Welt- und Europameisterin. Gab es während deiner aktiven Zeit ein Heimturnier – und wie fühlt es sich heute an, dass es 2029 so weit ist?

Sandra: Ja, das stimmt. Ich durfte während meiner Karriere viel erleben: Europameisterschaften, mehrere Weltmeisterschaften, große Spiele von großer Bedeutung. Darunter auch die Europameisterschaft 2001 im eigenen Land, die wir sogar gewonnen haben. Das war natürlich ein ganz besonderer Moment für mich und zeigt, welche Energie ein Heimturnier freisetzen kann.  28 Jahre später, also bei der EURO 2029 im eigenen Land, werden die Dimensionen natürlich andere sein: Vollere Stadien, größeres Medieninteresse, mehr Spitzenmannschaften die Anspruch auf den Titel erheben und vieles mehr. 

Es wird ein großartiges Ereignis für den Frauenfußball allgemein, vor allem aber für Deutschland ein absolutes Highlight-Event. 

Und genau deshalb freue ich mich so sehr auf 2029. Jetzt bekommt eine neue Generation diese Bühne. Mädchen sehen Spielerinnen, die ihren Weg gegangen sind, die ihnen ähnlich sind, die aus ihrer Region kommen. Das schafft Nähe und Identifikation.

Renate, auch du warst Teil legendärer Teams, unter anderem Weltmeisterin 2003 und 2007. Welchen Moment würdest du Mädchen heute am liebsten ermöglichen?

Renate: Natürlich erinnere ich mich gerne an große Titel, an die Weltmeisterschaften 2003 und 2007.  Auch 2005 bin ich in England Europameisterin geworden, aber der Titel 2001 bei der Frauen-EM 2001 in Deutschland vor heimischem Publikum ist definitiv auch etwas sehr besonderes. Wenn ich heute daran denke, dann zeichnet es mir immer noch ein Lächeln ins Gesicht. 

Titel sind immer schön und etwas besonderes, aber wenn ich von den Turnieren erzähle, dann nicht unbedingt wie ich den Pokal in die Luft gehalten habe, sondern wie besonders das Team war und wie wir immer mehr als Einheit zusammengewachsen sind.

Der Moment, den ich jedem Mädchen wünschen würde, ist also eher: das Gefühl zu erleben, als Team zusammenzuwachsen und gemeinsam zu gewinnen, gemeinsam zu verlieren und daran zu wachsen.

Ich habe erlebt, wie nah Erfolg und Enttäuschung beieinanderliegen. Es gab Highlights, aber auch verpasste Chancen. Was bleibt, sind die Menschen, der Zusammenhalt, das Miteinander. Dieses Gefühl, Teil von etwas Größerem zu sein. Das wünsche ich jedem Mädchen, das heute mit Fußball anfängt.

Frisch gebackene Weltmeisterin Renate Lingor bei der WM 2007
Frisch gebackene Weltmeisterin Renate Lingor bei der WM 2007 in China

Sandra, wie kann ein Großereignis wie die EURO 2029 die Rahmenbedingungen für Mädchenfußball verbessern?

Sandra: Ein Turnier wie die EURO hat eine unglaubliche Strahlkraft. Vereine richten neue Mannschaften ein, Kommunen investieren, Schulen, Eltern, Umfeld und Umwelt nehmen Mädchenfußball anders wahr. 

Aber – und das finde ich wichtig – ein Turnier allein verändert nichts dauerhaft. Es schafft Aufmerksamkeit, aber die eigentliche Arbeit findet abseits der großen Bühne statt: durch gute Trainingsbedingungen, durch engagierte Trainerinnen und Trainer, durch Menschen, die Mädchen stärken und ihnen Raum geben.

Programme wie GRLS WNTD SOCCER zeigen, wie das funktionieren kann. So etwas brauchen wir. Damit der Effekt von 2029 nicht verpufft, sondern zu echter Veränderung führt.

Aber – und das finde ich wichtig – ein Turnier allein verändert nichts dauerhaft. Es schafft Aufmerksamkeit, aber die eigentliche Arbeit findet abseits der großen Bühne statt.

Ihr seid beide Botschafterinnen von GRLS WNTD SOCCER (GWS). Welche Rolle kann GWS für und auch bis 2029 spielen?

Sandra: Was bis heute fehlt, ist ein einfacher, unkomplizierter Einstieg. Viele Mädchen wissen nicht, wo sie hingehen können. Manche trauen sich nicht in den Verein, andere haben keinen Kontakt zu Fußball im Alltag. 

Und genau deshalb sind niedrigschwellige Angebote wie GWS so wichtig: Mädchen dürfen dort einfach anfangen, ohne Druck, ohne Bewertung. Und im besten Fall so den Weg zum Frauenfußball finden.

Renate: Genau. GWS schafft Räume ohne Barrieren. Mädchen können sich ausprobieren im Safe Space, Fehler machen und erleben, wie sich Fußball anfühlt.

Wenn wir wollen, dass Mädchen 2029 nicht nur zuschauen, sondern sich wiederfinden, dann brauchen wir genau solche Programme. GWS kann ein Wegbereiter für viele sein, gerade in der Phase, in der Mädchen oft verloren gehen.

Renate, wir sprechen oft über Talent, aber selten über das Umfeld. Wie wichtig ist Unterstützung von außen für Mädchen, die mit Fußball anfangen?

Renate: Unterstützung von außen ist sehr wichtig. Viele Mädchen trauen sich den ersten Schritt nur, wenn jemand sie ermutigt und ihnen zeigt, dass sie willkommen sind. Wenn sie dann andere Mädchen erleben, die ebenfalls anfangen, entsteht schnell ein Gefühl von Gemeinschaft.

Auch weibliche Vorbilder spielen eine große Rolle. Mädchen müssen jemanden sehen, der ihnen ähnelt oder sie ermutigt und der zeigt, dass Fußball ihr Platz sein kann.

Oft braucht es nur einen einzigen Moment, der etwas auslöst: ein gutes Training, ein Mutmach-Satz, ein besonderes Erlebnis. Das funktioniert bei GWS sehr gut. Mädchen spüren dort: Ich darf das, ich kann das, ich gehöre hierhin.

Auch weibliche Vorbilder spielen eine große Rolle. Mädchen müssen jemanden sehen, der ihnen ähnelt oder sie ermutigt und der zeigt, dass Fußball ihr Platz sein kann.

Sandra, was wünschst du GRLS WNTD SOCCER für die kommenden Jahre, besonders mit Blick auf 2029?

Sandra: Ich wünsche mir, dass GRLS WNTD SOCCER ein fest verankerter Name im Mädchenfußball in Deutschland wird. Dass Mädchen wissen: ‚Da kann ich hingehen, da werde ich gesehen.‘

Und ich wünsche mir, dass wir rund um die Host Cities der EURO besonders präsent sind. Mädchen sollen spüren: Dieses Turnier gehört auch ihnen. Und vielleicht machen dort viele ihre ersten Schritte mit dem Ball.

Die Autogramme von Sandra Smisek beim Actionday sind sehr gefragt.
Die Autogramme von Sandra Smisek beim Actionday sind sehr gefragt.

Zum Schluss: Welche Botschaft möchtet ihr Mädchen mitgeben, die ihren Platz im Fußball suchen,  egal, ob sie schon spielen, gerade anfangen oder sich noch nicht trauen?

Renate: Traut euch, euren eigenen Weg zu gehen. Wenn ihr spürt, dass Fußball euch glücklich macht, dann folgt diesem Gefühl – es kann Türen öffnen, von denen ihr heute noch gar nicht wisst, dass es sie gibt.

Ich habe als Mädchen auch einfach angefangen, ohne zu wissen, wohin mich der Weg führt. Heute weiß ich: Ein einziger Moment kann alles in Bewegung setzen. Und mit Angeboten wie GWS und der EURO 2029 vor der Tür gibt es mehr Möglichkeiten denn je, euren Platz im Fußball zu finden und ihn mit Leben zu füllen.

Sandra: Wenn ihr Spaß am Fußballspielen habt, dann spielt – versteckt euch nicht und traut es euch zu”. Geht zu GRLS WNTD SOCCER und macht eure ersten Schritte oder ihr seid schon voll dabei und bekommt nicht genug: Dann bleibt am Ball – im wahrsten Sinne des Wortes. Training, Training, Training und ihr werdet besser, besser und besser. 

Und der Traum, eine Nationalspielerin zu werden kann immer in Erfüllung gehen!!

Vielen Dank euch beiden!